Journalistische Texte stecken voller Klischees, Tautologien und Floskeln. Unnötig. Gut gewählte Wörter haben klaren und starken Sinn. Sie brauchen keine Eigenschaftswörter. Ausnahme: Unterscheidungen wie „rote Rose“ und „gelbe Rose“.
Es scheint, als wären viele nicht in der Lage, ein Substantiv alleine stehen zu lassen. Warum? Finden wir Begriffe wie „Zerstörung“ so schwach, dass da ein „völlig“ vorne dran muss? Oder ist uns die „Freiheit“ nicht frei genug, so dass wir völlige Freiheit brauchen? Und warum sind Politiker und -Innen immer „zutiefst betroffen“, wenn sie anderenfalls unbeteiligt wären.
Warum schreiben wir in Klischees?
Wollen wir die armen Hauptwörter nicht alleine vor die Tür lassen?
These 1: Klischees werden reingeschludert und nie rausgestrichen
Es ist bequem in Klischees zu schreiben und Text in Füllwörtern zu ersäufen. Mit Floskeln und Füllern schreibt es sich prima – das geht mir genauso. Doch beim Überarbeiten muss der Ballasts raus. Streichen, kürzen, klar stellen.
Viele versäumen das.
Das Überarbeiten ist so wichtig wie das schreiben. Erst im zweiten oder dritten Durchlauf zeigt ein Text seine Substanz, entwickelt sich zu informativem, schnell verständlichen Content.
These 2: Wir wollen betonen
Vielleicht liege ich falsch? Vielleicht wollen wir mit den Tautologien einen Sachverhalt betonen. So als würden wir eine Geste machen oder ernst dreinschauen, wenn wir sagen: „fieberhafte Suche“, „tiefe Betroffenheit“ oder „eindringliche Warnung“. In der Politik gehören solche Konstrukte zum Alltag. In vielen Medien herrscht ebenfalls Drang zum Drama. Drama klickt besser. Und so entwickelt sich eine Sprachmacke zum neuen Standard. In Fußballkommentaren gibt es nur noch das „völlig frei“, Politikerinnen bei Unglücken sind stets „tief betroffen“. Dick auftragen gehört zum Geschäft.
Tautologien, Wortdoppelungen, sind rhetorisch schick, wenn man zur Tautologie zweimal mit der Faust auf den Tisch haut. Aber beim informativen Schreiben haben die Tautologien nichts zu suchen. Sie sind laut Wolf Schneider
Verdoppelungen, die Platz und Zeit vergeuden und den Schreiber als einen entlarven, der beim Schreiben nicht gedacht hat
(Wolf Schneider (2001): Deutsch für Profis, München: Wilhelm-Goldmann-Verlag)
Wolf Schneider hat recht. Wobei das „Schreiben“ in „Schreiben und Überarbeiten“ ändern würde.
Warum stören mich Klischees und Tautologien?
Beim journalistischen Schreiben geht um klare, eindeutige Information und einfache Lesbarkeit. Worthäufchen wie „völlig frei“, „fieberhafte Suche“ und „tiefe Betroffenheit“ blähen einen Satz auf, längen ihn unnötig und mindern die Verständlichkeit. Und sie schwächen die Hauptwörter.
Warum sollten wir Klischees vermeiden?
- Wir sollten die Klischees meiden aus Respekt vor der Sprache. Und aus Respekt vor denen, die unsere Texte lesen.
- Texte bleiben besser verständlich, wenn wir den Hauptwörtern ihren Sinn lassen.
- Ohne die Worthäufchen bleiben Texte schlank und einfach zu lesen. Das dient dem Publikum.
Was können wir tun?
Was tun gegen Klischees und Tautologien?
- Beim Schreiben lassen Sie es laufen. Ob da nun eine Tautologie mit durchrutscht, ist egal. Hauptsache der Schreibfluss bleibt erhalten.
- Beim Überarbeiten achten Sie mehr auf die unglücklichen Konstrukte.
Generell empfehle ich beim Überarbeiten eines Rohtextes:
- Auf kurze Sätze achten – jedes Wort zählt. Der Drang zum kurzen Satz wirft die ersten Doppelungen raus.
- Füllwörter entfernen. Auch damit kürzen Sie Sätze und helfen dem Lesefluss.
- Gezielt nach Klischees, schiefen Metaphern und anderen Problemen suchen. Hier sollten der Rest der überflüssigen Tautologien verschwinden.
- Immer fragen: Trägt dieses Wort zum Sinn und Inhalt des Textes bei.
Klischees und Tautologien in der Einzelkritik
Klirrende Kälte
„Kalt“ ist kalt, nicht ganz so kalt ist „kühl“, dann kommen „warm“ und „heiß“. Die „klirrende“ Kälte soll zeigen, dass es besonders kalt ist. Doch wie kalt genau? Wann klirrt Kälte? Bei -10 Grad oder erst bei -20 Grad. Es wäre so viel sinnvoller zu schreiben „Kälte bis -20 Grad“. Das ist eindeutig.
Fieberhafte Suche
Wäre es nicht besser bei klarem Verstand zu suchen statt im Fieberwahn? Eine Suche ist immer intensiv. Ansonsten wäre es stöbern oder sich umschauen.
Tiefe Betroffenheit
Betroffenheit ist immer tief, ansonsten wäre es Gleichgültigkeit. Abgesehen davon ist „betroffen“ ein abgeschmacktes, distanziertes Pauschalwort. Warum nicht „traurig“, „bestürzt“ oder „unglücklich“?
Völlige Zerstörung
Der Wortsinn zeigt uns, hier ist etwas entsetzliches passiert. Ein Haus ist zerstört. Da steht nichts mehr. Kein Stein auf dem anderen. Allenfalls noch ein paar Möbel, die aus Trümmern herausstehen.
Zerstört eben.
Anderenfalls ist das Haus beschädigt.
Eindringliche Warnung
Eine Warnung immer eindringlich. Ansonsten wäre sie ein Hinweis.
Herber Rückschlag
Ein Rückschlag schlägt uns zurück. Das ist herb genug. Anderenfalls wäre es ein Hemmnis oder Problem.
Feste Überzeugung
Wenn ich nicht überzeugt bin, bin ich unentschieden oder habe eine Meinung.
Bittere Enttäuschung
Enttäuschung ist immer bitter. Ansonsten wäre es Gram oder Ärger.
Völlige Freiheit
Freiheit ist so ein starkes Wort. Und es ist ein definierter Zustand: frei. Alles andere wäre „eingeschränkt“ oder „begrenzt“. Jedes drangeworfene Wort schwächt diesen starken Begriff. Marius Müller Westernhagen hat nicht gesungen „Völlige Freiheit, Völlige Freiheit“. Er hat die Macht des Wortes „Freiheit“ gespürt und ihm diese Macht gelassen.
Tiefe Krise
Die Krise beschreibt den Scheidepunkt zwischen Gut und Böse, zwischen Erfolg und Scheitern. Sie ist der Höhepunkt aller Probleme, das entscheidende Problem. „Tief“ macht den Problem-Superlativ nicht superlativer.
intensiv überprüfen
Auch so eine Politik-Floskel. Natürlich ist das überprüfen intensiv. Ansonsten wäre es ein „mal anschauen“. Und wieso eigentlich „überprüfen“? Reicht nicht „prüfen“?
Lesen Sie hier weiter: Besser schreiben ohne Füllwörter