Hochzeitsfotografie 2002 – alles läuft schief

Hochzeitsfotografie. Tausend Gesichter, ein Festsaal und ein indirekter Blitz. Das ist die Geschichte, aus der 200 Bilder entstehen, von denen zwei oder drei gut belichtet sind.

Es ist Hochzeit. Meine beste Freundin heiratet. Ich bin fest entschlossen, diesen Abend in Bildern festzuhalten. Gleich im Eingang schaffe ich klare Verhältnisse, packe die Kamera aus, stecke den Blitz auf und drücke zwei Mal ab. Mit mir im Saal sind noch drei, vier andere Fotografen. Wir taxieren einander wie Revolverhelden zu High Noon, spielen demonstrativ mit den Knöpfen unserer Kameras und lassen schließlich voneinander ab, um die Hochzeitsgäste zu fotografieren. Das ist das Tolle an so einer Hochzeit. Kein Mensch stört sich daran, wenn um ihn herum wildgewordene Hobby-Fotografen wirbeln und jedes Detail aufnehmen.

Im Saal blitzt es. Wir Fotografen haben unsere ersten Motive gefunden und lichten das Brautpaar aus jeder Perspektive ab. Es ist die Zeit für Experimente und Feineinstellung. Ich drehe den Blitz nach oben und sehe zu, was ich vor die Linse bekomme. Das Brautpaar sieht bald nur noch bunte Sterne und zieht sich aus dem Schussbereich zurück.

Und ich suche mir ein neues Motiv. Klar, die Totale muss es sein. Neulich habe ich gelesen: „Suchen Sie sich auf Hochzeiten eine erhöhte Position für Bilder.“ Ich schnappe mir einen Stuhl, steige drauf und drücke ab. Erstes Bild: Vordergrund überstrahlt, zweites Bild unterbelichtet, drittes Bild: Kamera zu niedrig gehalten. Aber die Perspektive ist klasse. Ich drehe den Blitz etwas weiter zur Decke und belichte noch ein paar Bilder unter — bis ich merke, dass die Decke an dieser Stelle gar nicht weiß getüncht ist, sondern in einem indifferenten Braun vor sich hindunkelt. Das heißt: 12 zu 0 für unterbelichtet. 

Das Essen wird serviert, außerdem würde sich der Besitzer des Stuhls gerne wieder setzen. Ich muss aufhören. Zum ersten Mal an diesem Abend wechsle ich ein paar Worte mit anderen Gästen ohne gleichzeitig durch den Sucher zu blicken. Die meisten fragen mich, warum ich den Blitz nach oben drehe, obwohl die Decke so dunkel ist. Ich erzähle ihnen mit profihaftem Lächeln etwas von „weicheres Licht“ und „das packt der Blitz schon“.

Meine Ausführungen werden jäh unterbrochen. Denn er ist da, der Augenblick des ersten Tanzes. Das Motiv des Tages. Wir Fotografen werfen uns nach vorne. Ich schubse den einen aus demWeg, trete dem anderen auf die Füße haue noch einem den Ellenbogen in die Rippen und habe den besten Platz. Nun muss ich das Paar nur noch richtig erwischen. Erster Schuß: sitzt – perfekte Belichtung, gute Schärfe. Mist. Zu hoch gehalten, Füße ab. Nochmal. Meine Nikon speichert. Dann ist sie wieder bereit. Ich drücke ab. Auslöseverzögerung, Feuer. Und voll den Rücken des Bräutigams erwischt. Gut, noch ein Versuch, speichern, laden… Ich halte kurz inne, atme aus und drücke hab. Prima, die Braut hat auch einen schönen Rücken.

Viereinhalb Drehungen weiter der nächste Versuch. Endlich habe ich sie da, wo ich sie haben wollte. Klick! Und mitten im Schuß drängt sich eine graue Sakkoschulter ins Bild und beschwert sich über Rippenschmerzen. 

Ich lasse ab vom tanzenden Paar, diskutiere mit dem grauen Sakko über dessen Blutergüsse und erzähle ihm, dass es bei den Pressefotografen in Berlin auch nicht anders zugehe. Er ist beleidigt und geht. „Wir spielen hier ja kein Halma“, rufe ich ihm noch nach, als er den Saal verlässt. 

Dann setze mich in eine Ecke und mache mich über meine fotografische Beute her. Weltvergessen klicke ich 200 Bilder durch. Mit der Zeit wird es stiller. Die Musik ist zu Ende und ich merke nicht, dass die Stühle schon hoch gestellt werden.

Irgendjemand nimmt mich am Arm und zieht mich behutsam nach oben, redet beruhigend auf mich ein, windet mir die Kamera aus der verkrampften Hand und bringt mich nach Hause. 

Als ich mich am nächsten Mittag nach langem Ausschlafen an meinen PC setze und die Bilder durchsehe, weiß ich, was ich gelernt habe: Blitze lieber direkt, wenn die Decke nichts reflektiert und fordere das Paar beim Brauttanz auf, mindestens eine Minute zu posieren. Vielleicht gelingen mir dann mehr als drei gut Bilder.

10/2002

Lesen Sie hier weiter: Fotos im Schneckentempo: Mein Kampf mit der Speicheranzeige

Schreibe einen Kommentar