Glosse: Ich kaufe ein O

Jan hat ein Schnäppchen gejagt: Laufschuhe. Und weil er jetzt Ausdauersportler ist, hat er die besten Ideen. Nur: warum muss er sie ausgerechnet mir erzählen?

Laufen ist gesund. Ich verziehe mich oft und gerne in den nahen Stadtwald, um dort ein Dreiviertelstündchen über die Wege zu traben. Das entspannt. Die Luft ist mild und riecht nach Wald. Gelegentlich zwitschert ein Vogel. Laufen hilft, den Kopf in Ordnung zu bringen. Wenn man so vor sich hin trottet, sortieren sich wie einem Rüttelsieb unwichtige Gedanken aus. Viele Probleme lösen sich von selbst, Ideen fliegen zu wie Blätter, vom Winde verweht.

Das war ein Mal.

Jan läuft neben mir her. Er hat sich die Laufschuhe in Hannover gekauft — ein Schnäppchen, ermittelt in halbstündiger Recherche mit Handy und Palmtop. Die Schuhe waren zwei Euro und vier Cent günstiger als anderswo. Jan weigert sich seit dem Kauf beharrlich, mir zu sagen, wie hoch seine Handy-Rechnung ist.

Jan läuft neben mir. Besser gesagt, er schiebt rhythmisch stampfend seinen Wohlstandsbauch. Ich finde das eigentlich prima, dass er sich bewegt. Das ist gesund. Eigentlich!

Aber Jan hat gelesen, dass man nur dann im richtigen Tempo läuft, wenn man sich beim Joggen unterhalten kann. Und so redet er seit einer Viertelstunde ohne Unterlass auf mich ein.

„Ich mach‘ mich selbständig“, keucht er. Mir fehlt nur noch die richtige Idee.

„Jan, Du bist selbständig“, versuche ich, den beginnenden Monolog im Keim zu ersticken.

„Aber doch nicht richtig. Ich renne jeden Tag in die Firma und bastle da an den Seiten für Ronnie rum. Und was habe ich davon? Eine Rechnung, die ich jeden Monat stellen kann und Probleme, noch zwei Rechnungen zu faken, damit mir die Scheinselbständigkeitssucher nicht auf die Nerven gehen. Ich will Kohle machen, Mehrwert ausschöpfen, den Cash-Flow vergrößern, mich auf meine Kernkompetenzen konzentrieren.“

Es geht ein wenig bergauf. Das stoppt Jans Betriebswirtschafts-Stakkato. Schweigend stapfen wir die Anhöhe herauf. Einen Augenblick lang fühle ich mich wohl.

„Die besten Geschäftsideen habe ich immer beim Fernsehen.“ Der Weg geht eben weiter. „Neulich Abend zum Beispiel: Glücksrad. Die sitzen auf der Kohle und merken es nicht ein Mal.“ Jan lacht heiser und stupst mich so fest von der Seite an, dass ich in den Wald fliege und einen Baum umarme. Bevor ich mir ein Stück weit Gedanken über das Wesen Baum und das Wesen im Baum machen kann, steht Jan neben mir.

Er hüpft von einem Bein aufs andere und sein Bauch hüpft mit. „Die verkaufen Vokale.“ Ich lasse den herrlich stillen Baum los und wir laufen weiter.

„Vokale, verstehst Du? Da stehen Leute und drehen an einem Rad. Für jeden Konsonanten bekommen sie Geld. Die Vokale müssen sie kaufen. Die sind teuer. Geniale Masche: Verschenk‘ die Konsonanten, verkauf die Vokale.“

Ich frage mich, ob Jan wirklich »Glücksrad« verstanden hat.

„Da frage ich mich: Warum soll man dieses Geschäft auf eine Fernsehsendung und dumme Sprüche an einer Buchstabenwand beschränken? Da kann man mehr draus machen.“

Ob Jan das Laufen wirklich so gut bekommt?

„Jetzt überleg‘ mal“, rennt Jan weiter, „wie heißen die meisten Internet-Firmen, hm?“

Ich ahne schlimmes.

„Die heißen Ciao, Opodo, Abacho, Atrada, Yahoo… Das sind Vokale ohne Ende. Und bis jetzt ist noch niemand darauf gekommen, sich die Rechte an einzelnen Vokalen zu sichern.“

„Hat die Telekom nicht ein Patent aufs T?“, versuche ich Jan aus dem Konzept zu bringen.

„Klar“, Jan spinnt weiter. „Die machen das nicht richtig. Die haben die nur das rosafarbene T.“

„Magenta, Jan.“

„Jetzt überleg‘ mal: Ich nenne meine Firma »aeiou24«. Damit habe ich alle Vokale beisammen und lasse sie in allen Farben schützen. Jeder, der einen Vokal im Namen hat, muss Lizenzen zahlen. Wenn jemand trotzdem einen der Buchstaben verwendet, kriegt er eine Abmahnung.“

Ich ziehe das Tempo an, will Jan abhängen. Aber seine Begeisterung hat ihm einen Adrenalinschub verpasst und er überholt mich. „Ich werde die Vokale versteigern“, ruft er mir zu, „mit begrenzter Nutzungszeit.“ Dann ist er verschwunden.

Vermutlich ist es der Sauerstoff-Mangel oder der Sauerstoff-Überschuss im Gehirn, der Jan auf solche Ideen bringt. Ich laufe wieder alleine durch den Wald. Ich lausche den Vögeln und den Blättern, höre nur meine Schritte und meinen Atem. Die Gedanken kreisen — auf ein Mal habe ich die Idee: Wenn Jan sich die Rechte an Vokalen sichert, werde ich mir die 2 und die 4 schützen lassen. Dann kann ich alle abmahnen, die eine 24 im Namen haben — sogar Jan.

veröffentlicht in Internet Professionell 4/2002

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